Anorexie und Bulimie / Ess-Störungen

– Fragen und Antworten

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Was erwartet mich denn in einer Therapie?

Frage

Sehr geehrter Herr Dr. Possnigg,

ich bin 19 Jahre und leide eigentlich seit meinem 14. Lebensjahr an einer Essstörung. Vorher war ich zu dick und ich begann abzunehmen. Mit 14 konnte ich sehr lange Zeit ohne Essen auskommen und war auch stolz darauf, nicht mehr auf das Essen zu Hause angewiesen zu sein. Aber mit 16 begannen die Heißhungerattacken und ich nahm wieder zu. Dann riet mir jemand dazu, den Finger in den Mund zu stecken und mich zu übergeben. Damit nahm ich zwar nicht mehr zu, aber die Fressorgien wurden immer mehr. Letztes Jahr habe ich maturiert und jetzt studiere ich, aber die Fresserei und das Erbrechen hat sich nicht geändert. Ich muss was dagegen machen, aber ich weiß, dass ich von selber nicht aufhören kann.

Eine meiner früheren Professoren hat mir zu Psychotherapie geraten, aber ich weiß noch nicht, ob ich das wirklich will. Ich hab da einige Fragen:

Ist es nicht sehr teuer? Gibt es auch Therapie auf Krankenkasse? Wie lang dauert die Therapie? Was macht man in einer Therapie eigentlich? Kramt man nur in der Vergangenheit, wie soll das helfen? Genauer gesagt: wie kann eine Therapie meinen Hunger besiegen? Man sagt, Therapie bedeutet Veränderung, aber ich will mich ja nicht verändern. Ich will nur die Bulimie weg haben, sonst aber so bleiben wie ich bin!

Ich weiß, meine Fragen sind vielleicht recht blöd, aber ich weiß nicht, wen ich sonst fragen kann, bitte um Verzeihung.

Danke, wenn sie das lesen und mir vielleicht kurz antworten,

M.W.

Meine Antwort

Liebe Frau W,

ich finde es sehr gut und mutig, dass Sie mir mailen. Die Fragen sind überhaupt nicht blöd, sondern sie werden immer wieder gestellt. Es ist ja letztlich nicht wichtig, wie man beginnt, seine eigenen Ressourcen zu erschließen und ich glaube, das Internet kann eine gute Möglichkeit sein.

Zu Ihren Fragen: Wenn Sie mit Psychotherapie beginnen, sollen Sie selbst das auch wirklich wollen. Dann aber haben Sie bereits die beste Voraussetzung für eine gute Therapie. Eine weitere ist, dass sie mit der Therapeutin gut und leicht in Kontakt kommen (eigentlich ist es Aufgabe der Therapeutin, vielseitig zu sein.) und sich sicher und geborgen fühlen. Es wird Ihnen bald klar, dass sich viel verändert: in Ihrer Umgebung und in Ihnen selbst. Da Sie eigentlich noch sehr jung sind, ist ständige Veränderung wahrscheinlich an der Tagesordnung. Es wäre also eine Illusion zu glauben, Sie bleiben die nächsten dreißig Jahre so wie Sie jetzt sind. Es kommt nun sehr darauf an, ob die Richtung stimmt. Und dabei hilft die Psychotherapeutin. Wenn sich die Bulimie (oder Ess-Brech-Sucht) bisher nicht gerührt hat, so deshalb, weil ihr Unbewusstes sie braucht. Wahrscheinlich bestehen verschiedene Muster oder Mechanismen, die zu Spannungen führen und die Essanfälle haben die Funktion des Spannungsabbaus. Diese Muster loszuwerden, gleicht einer sehr intensiven Reise in ein unbekanntes Land. Oft wird die Psychotherapeutin mit einem Reiseleiter verglichen, der der Klientin den Weg zeigt. (Die „Methode“ der Psychotherapie ist von untergeordneter Bedeutung.)

Die weitverbreitete Meinung, in Psychotherapie werde immer nur in der Vergangenheit gegraben, stimmt nur zu einem geringen Teil. Psychotherapie hilft, eigene Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern und eigene Quellen der Kraft zu erschließen. Wenn diese durch alte Verletzungen blockiert sind, ist es meist gut diese alten Wunden zum Heilen zu bringen.

Die Dauer einer Psychotherapie ist auch sehr unterschiedlich, zwei Jahre im Durchschnitt. Die Kosten der Psychotherapie werden derzeit nur zu einem geringen Teil von der KK getragen: 22,– € Sie müssen damit rechnen 80,– bis 110,– € pro Stunde zu zahlen, das heißt, dass Sie für den Rest selbst aufkommen müssen. Meist rechnet man – aber das ist auch von Methode und Art der Krankheit unterschiedlich, mit einer Stunde pro Woche.

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, dann mailen Sie mir werktags zwischen 9 und 11 Uhr, dann kann ich meist unmittelbar antworten oder rufen Sie mich an.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Ist es überhaupt sinnvoll, Psychopharmaka zu nehmen?

Frage

Lieber Herr Dr. Possnigg,

ich leide schon lange an einer Ess-Störung, nämlich Bulimie, aber jetzt ist irgendetwas anderes dazugekommen: Ich kann in der Früh überhaupt nicht aufstehen, meine Leistungen in der Schule sind schlechter geworden und ich habe mich von meinen Freundinnen zurückgezogen. Ich mag sie gar nicht anrufen und wenn sie anrufen hebe ich nicht ab. Dazu kommt eine innere Spannung und dauernd schlechte Gedanken. Mein Arzt hat schon lange gesagt, dass ich ein Medikament nehmen soll, aber dem habe ich ja nicht alles erzählt und der sagt ja immer ich soll ein Medikament nehmen. Anderseits: ich fühle mich sehr mies. Ist es überhaupt gescheit jetzt etwas zu nehmen, oder zeige ich damit dem Körper nur, dass ich mich von ihm unterjochen lasse? Ich habe so sehr das Gefühl zu versagen, wenn ich jetzt Psychopharmaka nehme, das wollte ich nie … Wer kann mir den helfen, wissen Sie einen guten Arzt in meiner Nähe? (… Stadtangabe)

Z.D.

Meine Antwort

Liebe Z.D.,

die von Ihnen geschilderten Beschwerden können – wenn eine organische Krankheit ausgeschlossen wurde – durchaus auf eine „Depression“ im weiteren Sinne zurückzuführen sein. Dies ist, wenn man die der Ess-Störung zugrunde liegende Situation in der Kindheit beachtet, eine durchaus logische Reaktion Ihres Unbewussten. Die Bulimie war eine Re-Aktion, die Depression ist vermutlich eine weitere, direktere Antwort auf frühere, schmerzliche Erfahrungen.

Sicherlich ist das Medikament. … ein gutes Mittel gegen Depression, auch bei Essstörungen, aber die wirkliche Behandlungs-Basis ist die Psychotherapie, bei der Sie selbst ihre Probleme bearbeiten und klären.

Zur Frage, wer ein guter Arzt sei, kann ich nur sagen: Es kommt auf Ihr Gefühl an, wie gut Sie sich aufgehoben fühlen. Es gibt in jeder Fachrichtung sehr engagierte und gewissenhafte Ärzte. Ich gebe aber zu bedenken: In Österreich ist es durch das Honorarsystem der Krankenkassen oft für Vertragsärzte nicht leicht, sich ausführlich genug mit einem Patienten zu befassen.

MfG

Dr. Possnigg

Macht Bulimie beziehungsunfähig?

Frage

… ich bin vor zwei, drei Wochen erst drauf gekommen, meine Freundin hat Bulimie. Ich liebe sie sehr und habe auch geglaubt, dass sie mich genauso liebt. Aber dann habe ich gelesen, dass die meiste Bulimikerinnen eigentlich beziehungsunfähig sind. Bei ihr schaut das gar nicht so aus, aber was ist, wenn sie sich nur verstellt?

Meine Antwort

Sehr geehrter …,

Bulimie allein macht ihre Freundin nicht beziehungsunfähig, sondern – im Gegenteil, diese Krankheit drückt oft, wenn auch auf sehr schwer verständliche Weise, den Wunsch und das Bedürfnis nach innerer Nähe, Geborgenheit, Zuneigung und Akzeptanz aus. Sehr oft liegt die Basis in einem herabgesetzten Selbstwertgefühl, das seine Ursache im sexuellen oder auch jedem anderen Missbrauch, Traumen, Belastungen haben kann. Bulimie ist dann oft nur die Spitze eines Eisberges von seelischen Leidenszuständen. Figur und Aussehen haben in unserer Gesellschaft eine besondere (überhöhte) Wertigkeit und viele Menschen glauben, nur wenn sie schlank sind, dürfen sie sich gut und wertvoll fühlen. Im Inneren besteht eine Leere, ein Hunger nach Liebe. Die Fressanfälle dämpfen diesen Hunger kurzzeitig. Mitunter werden pro Anfall viele Tausend Kalorien geschluckt. Um dem schlechten Gewissen zu entkommen, übergibt man sich. Man fühlt sich noch schlechter und der Zyklus kann wieder beginnen.

Liebe und Zuwendung allein sind sicherlich kein „Heilmittel“ für Bulimie, aber eine wertschätzende, stabile Beziehung hilft der Betroffenen zumindest in manchen Teilbereichen des Lebens sich wohlzufühlen. Psychotherapie, Aufarbeitung und Bewältigung der Traumata sind unbedingt notwendig, manchmal sogar umfassende längerfristige Rehabilitationsaufenthalte in psychosomatischen Kliniken. Paartherapie allein hilft der Paarbeziehung, aber nicht direkt der Bulimikerin.

So gesehen ist Bulimie sicherlich erfolgreich behandelbar, es muss aber mit einigen Jahren Behandlungsdauer gerechnet werden.

Dies alles gilt es, für Sie zu erwägen, einen „Rat“ kann ich Ihnen nicht geben, da ich Sie nicht kenne („Ratschläge sind Schläge“).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Gibt es ein Medikament, das den Heißhunger zügelt?

Frage

Sehr geehrter Herr Possnigg,

ich bin 18 Jahre alt und habe vor zweieinhalb Jahren Magersucht bekommen, die dann zu einem Gemisch aus Bulimie und Anorexie geworden ist. Seit einem Jahr bin ich Dank meiner sehr aufmerksamen Mutter in Therapie, es hilft mir sehr. Doch die „Brecherei“ werde ich einfach nicht los. Ich habe mich schon viel informiert, und unter anderem auch einen Artikel zum Thema erbliche Bedingtheit von Bulimie in Zusammenhang mit Serotoninspiegel usw … Ich wüsste gerne genaueres, und ob es ein Medikament gibt, dass den Heißhunger zügelt oder irgendetwas in der Art.

Vielen Dank im Voraus,

MfG

Gabi

Meine Antwort

Liebe Gabi,

es gibt Überlegungen, die Bulimie mit medikamentöser Therapie in den Griff zu bekommen. Tatsächlich spielt das Serotonin da eine große Rolle. Dieses hat aber sehr viele verschiedene Funktionen im Körper, die über verschiedene Rezeptoren vermittelt werden (Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Depression und Gedankenflucht sind nur einige der bekannten Serotoninwirkungen). Sicher ist, dass manche Leute auf die Einnahme von Medikamenten, die den Serotonin-Stoffwechsel beeinflussen, Heißhunger bekommen. Umgekehrt, Heißhunger zu behandeln, ist noch nicht befriedigend möglich. Es sind aber Medikamente im Versuchsstadium.

Ich selbst habe meine Bulimie-PatientInnen unter gewissen Voraussetzungen mit gutem Erfolg mit Psychopharmaka behandelt, immer als zusätzliche Therapie zur Psychotherapie.

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, mailen Sie mir wieder, oder melden sich für einen Termin in der Ordination an.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Wie steht es mit den Heilungschancen bei Bulimie?

Frage

Hi und hallo

Wie steht es mit den Heilungschancen bei Bulimie?

Danke im Voraus

Patrick

Meine Antwort

Lieber Patrick,

die Heilungschancen bei Bulimie sind sehr unterschiedlich, hängen aber von verschiedenen Faktoren ab. Der wichtigste ist: Wie lange besteht die Krankheit schon? Weiters: Wie schwer ist sie ausgeprägt, d.h. wie oft erfolgt ein Fress-Brechanfall, mehrmals am Tag oder nur einmal in der Woche? Ein weiterer Punkt ist, ob der Betroffene bereit ist, seine Situation, seine Lebensumstände, seine bisherige Entwicklung zu hinterfragen und ob es ihm (ihr) möglich ist, etwas daran zu ändern.

Wir haben sehr viele sehr gute Verläufe, die durchschnittliche Therapiedauer ist allerdings zwei Jahre. Psychopharmaka sind nur selten und meist nur vorübergehend erforderlich. Es gibt aber auch sehr hartnäckige Fälle, da kann ein zeitweiser stationärer Aufenthalt in einer Spezialklinik günstig sein.

Liebe Grüße

Dr. Possnigg

Gibt es eine Statistik zum Thema Bulimie?

Frage

Sehr geehrter Herr Dr. Günther Possnigg!

Da ich zurzeit gerade eine Problemarbeit über das Thema Bulimie schreibe, wäre es für mich sehr wichtig eine Statistik zu bekommen.

Diese Statistik soll beinhalten, wie die Krankheit in den letzten 50 Jahren in Österreich zunahm.

Danke im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen,

Franziska

Meine Antwort

Liebe Franziska,

leider kann ich mit Statistiken nicht aufwarten, weil ich kein Wissenschaftler bin. Daher bin ich auch bei Statistiken immer sehr skeptisch:

Bulimie ist eine stark tabuisierte Erkrankung. Man bricht ja auch am Klo und die meisten BulimikerInnen ziehen sich auch bei den Fress-anfällen zurück. Meist wissen auch die Leute, die in der unmittelbaren Umgebung der Kranken leben, nichts davon. Außerdem ist die Erkrankung erst seit wenigen Jahren offiziell von anderen Ess-Störungen abgegrenzt, (mit dem ICD 10, die Krankenkassen arbeiten noch immer mit dem ICD 9, das keine Unterscheidung vorsieht). Daher ist auch die Zählung der Bulimiekranken nicht wirklich möglich. Ich behaupte aber, dass es sie immer gegeben hat (von den Römern weiß ja jeder, dass sie nach größeren Malen erbrochen haben und die Kaiserin Sissi hatte diese Krankheit auch) und ferner dass, bezogen auf den sozio-ökonomischen Status, wahrscheinlich nur geringe Änderungen durch die Zeit zu verzeichnen sind. Natürlich hängt eine Steigerung mit den geltenden Schönheitsidealen und mit den zunehmend aufbrechenden kleinfamiliären Strukturen zusammen. Die häufigere Manifestierung ist aber eher als ein häufigeres Bekennen zu werten und damit eigentlich positiv, wenn damit Therapiemaßnahmen Hand in Hand gehen.

Danke für Ihr Interesse. Es würde mich sehr freuen, wieder von Ihnen zu hören und eventuell auch die Arbeit einmal zu sehen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Ich mache mir Sorgen um meine Freundin

Frage

Hallo!

Ich mache mir schön langsam echt tierische Sorgen um meine Freundin. Sie ist fünfzehn und hatte keine sehr schöne Kindheit. Sie wurde mehrfach vergewaltigt. Darum kann ich auch verstehen, dass sie mit ihrem Leben nicht so wirklich klarkommt. Sie hat ihren Körper für damals und versucht ihn zu zerstören. Zuerst hat sie sich „nur“ Narben zugefügt. Damit hat sie aufgehört, jetzt erbricht sie regelmäßig nach jeder Mahlzeit. Sie findet sich einfach fett, obwohl sie eine Traumfigur hat. Ich habe zu ihr gesagt, dass sie einen Arzt aufsuchen soll, da ich meine, sie hat Bulimie. Aber sie bestreitet, Bulimie zu haben. Sie ist nicht süchtig, sagt sie. Ich habe solche Angst, sie zu verlieren. Sie ist mir so wichtig geworden.

Bitte sag mir, was ich machen soll.

Liebe Grüße

yyy

Meine Antwort

Hallo yyy,

es tut mir leid, dir nicht wirklich eine tolle Lösung anbieten zu können, aber so, wie du mir deine Freundin schilderst, ist es wirklich ernst. Es muss keineswegs sein, dass jetzt gleich in Lebensgefahr ist, von der Bulimie her sicher nicht, aber langfristig kann sie sich viele Schwierigkeiten einhandeln. Natürlich ist mit15 vieles offen und möglich, aber es hängt sehr stark davon ab, was sie bereit ist für sich zu tun. Und genau das ist ja das Problem, dass sie sich nicht so sehr wertschätzt, dass sie bereit wäre Hilfe anzunehmen.

Daher ist es nun sicher entscheidend, dass du sie wissen lässt, dass du sie magst und sie für dich wichtig ist. Wahrscheinlich hat sie auch Scheu „einen“ Arzt aufzusuchen, weil sie denkt Belehrungen zu bekommen und Medikamente schlucken zu müssen. Aber beides hilft erfahrungsgemäß nichts.

Ich kann euch daher nur raten, langfristig die Weichen für sie in Richtung Psychotherapie zu stellen, es gibt ausgesprochen gute Jugend-TherapeutInnen. Natürlich muss man sich über die Finanzierung klar werden.

Wenn deine Freundin zu motivieren ist, und ihr nicht zu weit weg wohnt, kann sie auch einmal zu mir kommen. Sonst könnte ich auch jemanden für sie suchen.

Ich wünsche dir Erfolg bei deinen Bemühungen – und meldet euch wieder!

Dr. Günther Possnigg

Meine 16-jährige Schwester hat Bulimie

Frage

Sehr geehrter Herr Doktor,

gestern hat mich meine 16 Jahre alte Schwester um ein Gespräch gebeten. Wir gingen in ein Kaffeehaus, sie wirkte äußerst nervös und sprach kaum. In wenigen Sätzen erklärte sie mir, dass sie sich aus Neugierde circa ein Monat lang jeden Mittag zum Erbrechen zwang. Nun kann sie damit nicht mehr aufhören. Obwohl sie es eigentlich gar nicht will, wird ihr immer zu Mittag übel. Sie geht dann auf die Toilette und steckt sich „wie von selbst“ den Finger in den Mund. Außerdem trat vor einigen Tagen etwas ein, was sie bereits befürchtet hatte-es wird ihr bereits nach jeder noch so kleinen Mahlzeit übel. Aber nicht jede Übelkeit führt zum Erbrechen. Außerdem meinte sie, sie fühle sich schlecht und hätte in allen ihren Beziehungen mit der Umwelt Probleme. Sie neigte dazu, sich selbst überkritisch zu beurteilen. In der Schule wurde ihre zunehmende Verschlossenheit bereits wahrgenommen (auch die schulischen Leistungen lassen nach), aber meine Schwester lehnte das Angebot, den Schulpsychologen aufzusuchen, mit dem Hinweis, dass „es keine Probleme“ gibt, ab. Die Frage, ob sie glaubt, dass wir außenstehende Hilfe aufsuchen sollten, bejahte sie. Außerdem gab sie an, Probleme mit ihren FreundInnen zu haben – von ihrem Freund hat sie sich kürzlich getrennt. Sie hat Angst, dass jemand ihre Probleme entdecken könnte. Außerdem ist ihr aufgefallen, dass sie in letzter Zeit oft lügen würde. Dies geschehe aber so auffällig, dass sie damit bestehende Kontakte beeinträchtigt und intimere Verhältnisse vermeidet.

Meine Frage: Welche Vorgehensweise schlagen Sie vor?

Wie ernst ist die Situation?

Mit freundlichen Grüßen

Mag. ddd

Meine Antwort

Sehr geehrter Herr Mag. ddd,

danke für Ihr Mail und die Offenheit. Um es kurz zu machen: ich glaube sehr wohl, dass die Situation ernst ist. 16 ist sicher das Alter, in dem sich bulimische Ess-Störungen am häufigsten manifestieren. Das Erbrechen und die Übelkeit sind aber – so wie Sie mir die Situation schildern – nur ein Aspekt einer doch sehr weitgreifenden seelischen Unruhe. Natürlich kann ich nicht sagen, welche weiteren Schwierigkeiten noch auf die Schwester zukommen können. Dies hängt auch sehr stark von der gesamten systemischen Situation ab (Familie – aktuelle Situation – Beziehungen der einzelnen Mitglieder zueinander – welche Geschichte haben sie?) und auch von der Entwicklung Ihrer Schwester für sich, ihre Krisenbewältigungsstrategien und gesunden Anteile.

Ich glaube, dass grade in so einer heiklen Situation Vertrauen und Klarheit eine große Rolle spielen. Daher schlage ich Ihrer Schwester vor, dies zunächst mit mir zu besprechen, vielleicht bereits in Hinblick auf eine spätere Psychotherapie (da würde ich eine PsychotherapeutIn vorschlagen).

Mit freundlichen Grüßen Dr. Possnigg

Bulimiebehandlung ohne Psychotherapie?

Frage

Sehr geehrter Herr Doktor,

meine Freundin, 17, hat mir vor kurzem gestanden, dass sie Bulimie hat. Sie ist jetzt total verzweifelt und weiß nicht, was sie tun soll und ich tue mir ebenfalls schwer ihr einen guten Rat zu geben. Gibt es vielleicht einen Weg, die Bulimie ohne Therapie zu heilen, wenn sich die Krankheit noch im „Anfangsstadium“ befindet?

Meine Freundin ist schon seit längerer Zeit etwas übergewichtig gewesen und hat jetzt merklich abgenommen, doch von ihrer Krankheit ist mir bis jetzt noch nichts aufgefallen. Über ihr Gewicht und über das Abnehmen hat sie mit mir und anderen Freundinnen nie geredet. Ich bin auch die einzige, die davon weiß und das macht die Sache für mich auch nicht leichter.

Ich wäre Ihnen für einen guten Rat sehr dankbar, denn ich mache mir große Sorgen.

Mit freundlichen Grüßen

GXG

Meine Antwort

Liebe GXG

Das Problem ist, dass „die Bulimie“ bei Ihrer Freundin nur ein Symptom, sozusagen die Spitze eines Eisberges ist. Das Essen und das Übergewicht haben wahrscheinlich ihre eigene Geschichte und Ursachen, die auf die Kindheit zurückgehen. Vielleicht ist es Ihrer Freundin auch nicht bewusst, wie alles zustande kam, vielleicht ist auch die Erinnerung ausgelöscht.

Tatsache ist, dass Bulimie äußerst gefährlich ist und ihre Freundin unbedingt einen Arzt zurate ziehen sollte. Zunächst ist es wichtig, einen medizinischen Check-up zu machen, um Schweregrad und Stadium der Erkrankung und Ausmaß der körperlichen Gefährdung einschätzen zu können. Die Krankheit ist tückisch und körperliche Schäden können bereits nach relativ kurzer Erkrankungsdauer entstehen. Psychotherapie steht auf einem ganz anderen Blatt und Ihre Freundin muss sich zunächst darüber im Klaren sein, ob sie diese will.

Nochmals: eine Kontaktaufnahme mit einem dafür kompetenten Arzt (psychotherapeutisch orientierter praktischer Arzt, Internist oder Psychiater mit Erfahrung bei Bulimie) ist unbedingt und dringend erforderlich. Zögern Sie nicht, es ist wichtig!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Ich möchte Sie um Rat bitten!

Frage

Sehr geehrter Herr Dr. Possnigg!

Ich leide seit knapp 2 Jahren an Bulimie. Seit damals habe ich etwa 25 kg abgenommen. Anfangs war das toll für mich. Ich habe mich einfach gefreut, dass ich das „geschafft“ habe und ich mich kleiden konnte, wie ich es immer gewollt habe, aber mittlerweile schäme ich mich nur noch dafür. Es ist für mich eine riesengroße Last, dass niemand etwas davon weiß, erzählen kann ich es aber auch keinem. Ich erbreche mehrmals täglich und leide mitunter an schweren Magenkrämpfen, Schwächegefühl, Kreislaufproblemen und natürlich Zahnschmerzen, traue mich aber wiederum nicht, den Arzt aufzusuchen, aus Angst, man könnte mir auf die Schliche kommen.

Seit … wohne ich jetzt mit meinem Freund zusammen. Natürlich weiß auch er nichts von meiner Sucht. Leider merke ich, dass unsere Beziehung zunehmend darunter leidet. Zum einen, da ich immer wieder versuche, ihn krampfhaft loszuwerden, um ungestört alles in mich hinein stopfen zu können; zum anderen, da ich in diversen Auseinandersetzungen immer wieder merke, dass ich sehr unfair ihm gegenüber bin und mich oft selbst nicht mehr (er)kenne. Abgesehen davon leide ich oft an schweren Depressionen, in die ich hineinfalle wie in ein tiefes schwarzes Loch. Es dauert manchmal Wochen, bis ich wieder lachen kann. Ich habe das Gefühl, unsere Beziehung geht daran zugrunde.

Ich bitte Sie dringendst, mir … zu antworten. Vielleicht können Sie mir einen Rat geben. Mein Problem ist, dass ich nicht wirklich damit aufhören will, zu essen und zu erbrechen. Ich habe mir einfach geschworen, niemals wieder so fett zu werden, wie ich es mal war. Dennoch möchte Sie um Rat bitten.

Mit Dank im voraus

xxx

Meine Antwort

Liebe xxx

Bulimie ist nicht nur eine Krankheit des Körpers, obwohl die Symptome bei Ihnen jetzt „körperlich fixiert“ sind. Bulimie ist vielmehr Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und vielleicht auch ein Wunsch nach Liebe und Zuwendung. Daher ist es nicht leicht möglich, mit rein körperlichen Therapieangeboten zu helfen. Was zusätzlich passiert ist, der Teufelskreis: Essanfall – Brechen – Vereinsamung – schlechtes Selbstwertgefühl – Essen usw. Dadurch auch die instabile und stark depressive psychische Situation.

Ich kann nur empfehlen, dass Sie allen Schwierigkeiten zum Trotz mit einer(m) erfahrenen TherapeutIn Kontakt aufnehmen. Es macht sicher Sinn, da Sie Ihre Probleme mit jemanden besprechen müssen. Das ist schon eine große Entlastung.

Was dann weiter passiert, ergibt sich. Aber eines ist klar, sie haben mehr Kontrolle als jetzt. Im Raum Wien stehen meine Frau und ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

Habe ich überhaupt ein Essproblem?

Frage

Sehr geehrter Herr Dr. Possnigg!

Ich weiß nicht an wen ich mich wenden soll/kann, vielleicht weil mir auch der nötige Mut dazu fehlt. Tatsache ist, dass ich zurzeit wieder mal sehr verzweifelt bin. Irgendwie merke ich, dass mein Verhalten nicht ganz normal zu sein scheint, trotzdem bin ich mir aber nicht sicher, ob ich ein wirklich ernsthaftes Essproblem habe.

Zu meiner Geschichte:

Mittlerweile bin ich 28 Jahre alt. Als Jugendliche war ich sehr stark übergewichtig. 94 Kilo, bei einer Größe von 170 cm. Irgendwann habe ich begonnen, abzunehmen. (da war ich etwa 19/20) Mittlerweile bin ich bei einem Gewicht von 61/62 Kilo angekommen. Nach der Diät wurde es für mich aber zunehmend schwieriger wieder „normal“ zu essen, da ich ja sofort wieder zugenommen habe, sobald ich nur ein bisschen mehr gegessen habe. Also habe ich begonnen immer wieder nichts oder zumindest nur sehr wenig zu essen. (so an die 500 kcal pro Tag)

Seit einigen Jahren nun schon, praktiziere ich dieses Ritual: Einige Wochen sehr wenig bis nichts zu mir zu nehmen, dann folgen wieder Fressattacken, manchmal mehrmals pro Woche. Ich versuche immer zu erbrechen, es gelingt mir aber nur sehr selten, eigentlich, so gut wie nie. Also habe ich damit begonnen, Diuretika und Laxantien zu nehmen. (Lasix und Dulcolax Drg) zuletzt bin ich auf bis zu 8 Stück täglich gekommen. Bis ich sie schließlich wieder ganz abgesetzt habe. Seit einigen Wochen, merke ich aber wie sehr der Druck wieder steigt, also habe ich wieder angefangen Abführmittel zu nehmen. Auch diese länger anhaltenden anorektischen Phasen, habe ich wieder verstärkt. Im Prinzip sind sie die letzten Jahre immer vorhanden gewesen.

Auch der Zwang mehr Sport zu treiben als sonst ist mächtig gewachsen. So laufe ich nun schon jeden Tag, oft bis zur Erschöpfung. Gewicht verliere ich dadurch immer wieder, da ich aber die Fressattacken habe, kommt alles wieder drauf. Also bleibt mein Gewicht so ziemlich stabil. Zurzeit bin ich ziemlich verzweifelt, weil ich diesen Zustand nicht mehr aushalte, aber dennoch nicht den Mut besitze, mich meinem Hausarzt anzuvertrauen.

Außer meinem Freund, ahnt niemand etwas. Und selbst er spricht mit mir nicht darüber. Vielleicht bin ich auch deshalb im Zweifel, ob bei mir überhaupt eine Ess-Störung vorliegt. Wenn ich über Bulimie oder Magersucht lese, kann ich mich bei beiden zwar in einigen Dingen wiederfinden, trotzdem zeichnet sich bei mir ja ein anderes Krankheitsbild ab, da ich ja so wie bei Bulimie ausschlaggebend, nicht erbreche. Der Versuch alleine zählt ja nicht. Oder doch?

Ich bin so verunsichert. Vielleicht will ich es aber auch nicht wahrhaben, keine Ahnung. Tatsache ist, dass ich so nicht weitermachen kann und will. So gerne möchte ich Essen wieder genießen können und meinem Leben einen sinnvolleren Inhalt geben, als ständig an Essen/nicht essen/Kalorien und Abnehmen zu denken. Diese Gedanken machen mich echt schon krank! Meine Schlafstörungen werden immer schlimmer und selbst wenn ich mal schlafen kann, habe ich Albträume. Immer wieder. Können sie mir sagen, ob bei mir eine Ess-Störung vorliegt, anhand der beschriebenen Symptome und wohin ich mich wenden kann? Sollte mich nicht wieder der Mut verlassen …

Vielen Dank im Voraus und entschuldigen Sie bitte für die Länge des Mails.

xxxx

Meine Antwort

Liebe xxxx,

danke für Ihr offenherziges Mail.

Ich würde Ihren Leidenszustand sicherlich als Ess-Störung einstufen. Aber das wesentliche ist, dass Sie in Ihrer Situation sehr unglücklich sind.

Meine Erfahrungen zeigen auch, dass sowohl Abführ- als auch Entwässerungsmittel keinerlei Verbesserung bringen. Sie stellen vielmehr einen nicht beherrschbaren Mangelzustand (Kalium-Mangel) her, der sehr gefährlich werden kann und der mitunter weitere Ess-Anfälle verursacht. Kalium ist ein wichtiger Bestandteil des Körpers, der vor allem in den Zellen vorkommt. Bei regelmäßigem Kalium-Verlust wie bei Abführmittelgebrauch und Erbrechen schwemmt der Körper immer mehr aus den Zellen in den Zwischenzellraum aus. Der so entstehende Mangel im gesamten Körper kann nicht so rasch wieder aufgefüllt werden.

Die Symptomatik, die sie dann schildern, spricht eher für eine Depression, die ja eine Folge der Ess-Störung sein kann. Mein Vorschlag ist, eine kombinierte konsequente Therapie anzustreben: Psychotherapie und – niedrig dosiert – Psychopharmaka. Eventuell auch Auffüllen der verlorenen Elektrolyte.

Ich wünsche Ihnen alles Gute

Dr. Possnigg

Was für Erfahrungen haben Sie mit den Auswirkungen von Bulimie?

Frage

Hallo!
Ich bin 22 Jahre, Studentin und habe seit meinem 18. Lebensjahr Bulimie.
Seit knapp 2 Jahren mache ich eine Psychotherapie und die Symptomatik, also das Erbrechen ist weniger geworden. Seit eineinhalb Jahren habe ich aber massiv mit Schwindel und Übelkeit zu tun! Die Symptome treten so gut wie täglich auf, unabhängig von den Mahlzeiten. Ich habe schon wahnsinnig viel Untersuchungen hinter mir, u. a. Magenspiegelung, Bluttests etc. Somatisch wurde nichts gefunden. Meine Therapeutin geht von einer Symptomverlagerung aus. Ich kann mir das teilweise vorstellen, kann aber nicht ganz glauben, dass da körperlich gar nichts ist. Was denken Sie dazu? Die Übelkeit und der Schwindel sind total belastend! Wenn das psychisch ist, hört es dann irgendwann auf? Oder sind das Auswirkungen der Essanfälle? (Damit sie eine Vorstellung haben: Momentan habe ich ca. einen bulimischen Anfall pro Woche, früher fast täglich). Was für Erfahrungen haben sie mit den Auswirkungen von Bulimie?
Ich bin sehr positiv überrascht über ihre Website und hoffe auf Antwort!
Danke!

Meine Antwort

Liebe Frau xxxxxxxx

danke für Ihre Anfrage. Sie schreiben, dass Sie viele Untersuchungen gemacht hätten, und dass die Ergebnisse dabei sehr wenig auf eine „somatische“ Krankheit hinweisen. – Andrerseits: Die Ursachen Schwindel und Übelkeit sind sehr oft nicht mit somatischen Befunden aufzuspüren. Sehr häufig gehen sie nämlich von unserem empfindlichsten und ausdrucksstärksten Organ aus: der Wirbelsäule und ihrer Stützmuskulatur. Diese ist gerade bei jungen Menschen sehr empfindlich und zeigt dennoch im Röntgen keinerlei Auffälligkeit. Für Ihre Symptomatik kann die Halswirbelsäule zuständig sein. So ist auch der Ausdruck Symptomverlagerung zu verstehen: Während Sie früher erbrachen, was Sie nicht verdauen konnten, sind Sie jetzt bereit, die Krise durchzustehen. Das erfordert Kraft aus dem Rücken heraus – und der beklagt sich.
Ich empfehle Ihnen Schwindeltraining und Rückengymnastik. Sicherheitshalber: wurde schon eine MRT von Gehirn gemacht?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Possnigg

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